Glück

GLÜCK

Lass mir ein wenig Zeit, mein lieber Simeon. Ich muss meine Kräfte sammeln, meine Stimme muss sich vom Weinen erholen, wenn ich wieder vom Glück erzählen will...

Über allem liegt schwer und dunkel die Trauer, die Verzweiflung und der Schmerz. Doch ich will vom Glück erzählen, damit es nicht verloren geht.

Es ist so kostbar und es ist unwiederbringlich. Das Glück. Das Leben.

Abschied. Was ist Abschied? Ein Wort, ein Gruß, ein Blick, eine Umarmung, ein Kuss. Noch einmal übers Haar streichen, nochmal in den Arm nehmen, noch einen letzten Kuss auf die Wange, noch einmal Deine Nähe einatmen, Deinen weichen, warmen Duft spüren und in Erinnerung behalten. Noch einmal Deine Liebe spüren und meine Liebe strömen lassen mit guten Wünschen und Segnungen, für Deinen Weg … Dann gehst Du. Du wirst Dich umdrehen, durch die Tür gehen und Deinen Weg nehmen. So war es. So ist es. Es war schwer und es war richtig. Erwachsen werden. Zu früh? Du wolltest es, wir hatten uns gut darauf vorbereitet. Du gingst aufrecht, nicht eilend und nicht zögernd durch die Absperrung, Du schautest Dich noch einmal um. Lächeln, winken!

Du hattest leichte, braune Turnschuhe, blaue Jeans und eine dunkle, leichte Jacke an. Du trugst das T-Shirt der Schüleraustausch-Organisation, das als Erkennungszeichen dienen sollte. Die Farbe Gelb war Dir zu grell, Du fandest es nicht schön, aber es stand Dir gut.

Ankunft in Scranton Airport, Pennsylvania am 13. August 2007, mit Deinen Gasteltern

Heute sehe ich das Datum auf dem Foto, 13. August 2007, und mir fährt siedendheiß das Grauen ins Herz: auf den Tag genau 3 Jahre später fand Deine Beerdigung statt: Am 13. August 2010.

Meine Rückfahrt nach Hause. Allein im Auto. Wie verwaist stand ich unten in der Straße vor dem Haus. Wie verwaist fühlte ich mich, als ich oben Dein Zimmer betrat und wusste: 10 Monate lang würdest Du nicht hier sein. Zehn Monate lang würde ich Dich nicht sehen, Dich nicht wecken am Morgen, Dir kein Frühstück bereiten, nicht mit Dir sprechen, nichts zusammen unternehmen, keine Spaß, keine Auseinandersetzungen, kein Lachen, kein Lärm. Nichts. Leere, Stille.

Und all das, war nur eine kleine Übung für das, was kommen sollte? Ich kann es nicht glauben!

Dein Zimmer sah etwas wüst aus. Du wolltest nach dem Einpacken noch aufräumen, damit alles während Deiner Abwesenheit ordentlich sei. Aber daraus ist dann nichts geworden. Dein Blick ging in die Zukunft, hin zum Abenteuer.  Jetzt stand ich in Deinem kleinen Chaos. Ich entschloss mich, Dein Zimmer vorsichtig, ohne mich in die innere Ordnung einzumischen, aufzuräumen,  zu reinigen und alles so herzurichten, dass Du jederzeit zurückkommen konntest. Du solltest in jedem Moment willkommen sein in Deinem Zimmer.
Wir hatten verabredet, dass Du Dich möglichst sofort nach Deiner Ankunft in Wilkes Barre telefonisch melden würdest. Falls es unterwegs Probleme geben sollte, würdest Du selbst entscheiden, ob Du bei mir oder bei Pam und Scott anrufen würdest oder ob Du uns alle benachrichtigen müsstest. Dein erster Anruf kam aus Washington. Dort hattest Du Dir während des vierstündigen Aufenthalts eine Telefonkarte besorgt.  Ich war, froh, dass bis dahin alles gut gelaufen war. Wie gut, Deine Stimme zu hören. Ich wusste: Alles es wird gut gehen! Stunden später, gegen Mitternacht europäischer Zeit bekam ich Deinen Anruf aus Wilkes Barre. Da warst Du schon in Deinem temporären Zuhause. Glücklich angekommen, die erste, aufregende Etappe des Abenteuers gut bestanden.

Du warst sparsam mit Geschichten aus der Fremde. Du kamst etwas verändert zurück nach zehn Monaten. Du brauchtest Deine Zeit, wieder zu Hause anzukommen... Nach und nach erfuhr ich von Deinem Leben dort, von Deinen Eindrücken, Deinen Erlebnissen, von der anderen Lebensweise.

Im Kreise Deiner Schulfreunde in Wilkes Barrre, Pennsylvania, 2008

Ich habe mir  Deine Bilder aus den USA angesehen und die Schönsten in einer Galerie zusammengestellt. Du hast auch einige Aufnahmen in New York gemacht.

 

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