
kürzlich aufgeschrieben...
Leben
LEBEN
Dieses wunderbare Geschenk, das wir für selbstverständlich halten. Leben, Leben, nichts als Leben ist, was zählt.
Alles ist möglich, solange Du lebst, alles verspielt, jede Chance vertan, wenn das Leben verloren.
Ach, wir kennen ja nur das Leben und diese schöne Welt!
Leben ist wachsen, entwickeln, reifen, sich irren und lernen, genießen, sich mühen, verschwenden und darben. Gewinnen und verlieren, immer wieder von vorn beginnen. Glück und Unglück. Und Zeit, Zeit, Zeit.
Wehe, wem keine mehr Zeit zum Leben bleibt.
2003 im Sommer, auf dem Weg nach Masuren
Unser Abenteuer. Das erste Abenteuer zu zweit, nach einer schmerzhaften Trennung von ..., die mich im Winter zuvor fast um den Verstand gebracht hätte. Wir beide auf dem Weg ins Leben, in die Welt, ins Abenteuer.
Wir beide, tapfer, mutig, stark, abenteuerlustig.
In der ersten Nacht wollten wir irgendwo an einem See unser Zelt aufschlagen. Wir sahen auf der Karte nach, wo wir in der Nähe einen geeigneten Platz finden würden, schlugen einen Feldweg in jene Richtung ein. Der Weg war schmal und holperig, wir ließen das Auto stehen und gingen zu Fuß weiter. Wir kamen nicht an den See heran. Eingezäunte Bereiche, Gehöfte ringsherum. Welcher der überwucherten Pfade würde uns zum See führen?
Vor einem Bauernhaus saßen ein paar Leute im Garten, die wir fragen konnten. Einige waren vielleicht Bauern, die Bewohner des Anwesens, ein älteres Paar stand auf, sie kamen zum Zaun, wollten uns begleiten und den Weg zeigen. Wir erfuhren: Der See war von fast allen Seiten mit Privatgrundstücken umgeben, wo nicht, führte kaum ein Weg durch Dickicht und Morast.
Die Leute führten uns zu einem schönen Platz direkt am See, der „zufällig“ gerade zu ihrem Grundstück gehörte. Eine Sommerwiese mit Apfelbäumen, Blumen, einer Pumpe und mit einer kleinen Badestelle am üppig bewachsenen Ufer. Sie sagten, wir könnten in ihrem Bungalow schlafen, sie würden am Abend in die nächstgelegene Stadt fahren, wo sie ihre Wohnung hatten, und bis zum nächsten Morgen dort bleiben. Wir bedankten uns, doch lehnten wir ab. Wir wollten gern auf dem Grundstück bleiben, aber nur im Zelt. So haben wir es dann auch gemacht.
Du warst fast 12. Du trugst ein geringeltes T-Shirt: weiß, türkis, khaki. Dein Blick war ruhig und ein bisschen zu ernst.
Als es schon dämmerte, gingen wir baden.
Der Boden des Sees war sandig und sehr weich. Dir war es unheimlich, mit den Füßen im schlammigen Boden zu versinken. Wir spielten etwas, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was es war. Nur dieses Gefühl habe ich noch: Ich höre Deine helle Stimme im stillen Raum des Abends über dem See. Ich fühle das kühle Wasser, sehe Dein Gesicht vor mir, wie Du erklärst, sprichst, lachst, wie Du Dich ins Wasser wirfst und wie Du versuchst schnell zu laufen, gegen den Widerstand des Wassers. Du stemmst Deinen schmächtigen Kinderkörper gegen das Wasser und ruderst mit den Armen durch die Luft. Du hast Dir Spiele ausgedacht, meistens musste man viel reden, sich etwas vorstellen, vielleicht eine Rolle einnehmen. Es waren die besten Spiele! Besser als jedes "fertige" waren Deine improvisierten Spiele! Aber dieses eine ist in der Vergangenheit verschwunden... ob ich es jemals vom Grunde meines Gedächtnisses aus der Vergangenheit fischen werde?
Das Bad erfrischte uns nach einem heißen Tag auf der Landstraße. Später kochten wir auf dem kleinen Spirituskocher eine Mahlzeit und versuchten, uns nicht von den surrenden Mücken ärgern zu lassen.
Als wir nach Sonnenuntergang im Zelt lagen, spürten wir beide, irgendwo auf der Welt auf dem Boden liegend, nachts, im Freien, dass nur ein dünner Stoff uns trennt vom unendlichen Universum, das nach "oben" immer weiter geht. Unendlich weit. Eingekuschelt in den Schlafsack, im kleinen Zelt, scheinbar beschützt und doch so frei und verletzlich mitten im Universum, an einem zufälligen Ort. So wie Ameisen oder Käfer zufällig hier und nicht woanders umher laufen. So waren wir dort und nicht woanders. Zufällig.
Am Morgen, nach tiefem Schlaf, erfrischten wir uns im kühlen See, über dem noch der Nebel lag. Der Himmel war bedeckt, es begann zu nieseln. Wir packten unser Zelt noch vor dem Frühstück ein. Inzwischen waren unsere Gastgeber zurückgekehrt. Sie hatten Essen mitgebracht und bestanden darauf, mit uns zu frühstücken. Es gab Kaffee und Tee. Die Leute erzählten auf polnisch, ich übersetzte für Dich, es wurde für Dich zunehmend anstrengend, weil Du nicht selbst verstehen konntest. Du bliebst geduldig. Sie haben Dich gleich gemocht.
Bevor wir losfuhren, habe ich die Beiden vor ihrem Bungalow inmitten der Blumen fotografiert. Die Frau hatte einen Eimer vor sich und schnitt Bohnen. Ich fragte sie nach ihrer Adresse und wir waren ganz sicher, dass wir ihnen schreiben und das Foto schicken würden. Simeon, ich habe es nie gemacht. Sie haben das Foto nicht bekommen. Die Adresse habe ich lange aufbewahrt. Nach Jahren habe ich sie weggeworfen, weil ich mich schämte, es nie getan zu haben. Warum habe ich nicht in jenem Moment einen Umschlag genommen, ein Brief geschrieben und den Leuten das Foto zu Erinnerung geschickt? Ich werde das Bild heraussuchen und hier einfügen. Die Stadt in der sie wohnten heißt Ilawa. Das L ist ein „durchgestrichenes“ L. Der Bungalow mit dem Garten stand in Richtung Osten einige Kilometer geradeaus (ich würde sagen 3 – 10 km) auf der Landstraße, links an einem Feldweg.
Simeon, wir hätten losfahren sollen um sie zu suchen, die beiden alten Leute.
Jetzt suche ich Dich... immer.
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