TOD
- Ohne Worte
- Utoya
- Anthony - ein Junge wie Du
- Blumen am Grab
- Ostern
- Tagebuch über das Nichtsein
- Worldwide Candle Lighting
- Sterne im Schnee
- Wie lange dauert IMMER?
- Dorthin wo Du bist
- Beerdigung
- Musik, Schrei und Stille
- Warum Abschied?
- Abschied
- Der Tod fragt nicht
- Wir finden eine Bestattungsfirma
- Beerdigung, wie soll das gehen?
- 22. Juli 2010
Lieber Simeon,
wir lernen Dinge, die wir nicht lernen wollten. Nie. Am Montag (am 26. Juli) suchen wir einen Bestatter. Wir schalten den Rechner an, und sehen uns einige Seiten im Internet an. Entmutigend.
Wir fahren mit dem Auto los, wie im Traum. Das wirkliche Leben ist unwirklich. Wenn man vom kalten Hauch des Todes gestreift wurde, ist man mit einem Bein in einer anderen Welt. Alles läuft langsamer, weit weg. Wir sind Zuschauer. Wir sind Unsichtbare.
Wir fahren zu einem Bestatter und sagen: Unser Sohn ist gestorben. Wir sagen UNSER. Frank sagt mir, Du seist für ihn fast wie ein eigenes Kind.
Der Bestatter sieht aus wie ein Zirkusdirektor. Ein Schmierenkomödiant. Bohnerwachsbraun gefärbte Haare, schwarzer Anzug. Nicht elegant, nicht würdevoll, einfach Dienstkleidung. Arbeitskittel sozusagen. Leicht leidender Blick, der wohl Mitgefühl darstellen soll. Wir gehen in ein Hinterzimmer, er nennt es Büro. Winzig, ordentlich, leblos. Im Regal stehen Urnen. Ein großer geschwungener Schreibtisch. Ein Fenster, zwei Türen. Mehr Platz ist nicht. Das Telefon klingelt dauernd, der Mann geht nicht ran. Ich sage, er möge ruhig abheben, soviel Zeit hätten wir schon. Nein, sie sind ein Familienbetrieb, er müsse nicht abheben, das Telefon klingle in allen Räumen und jemand anderes werde jetzt gleich drangehen.
So geht das noch ein paar Mal. Wir versuchen uns von dem albernen Klingelton nicht ablenken zu lassen. Der Bestatter zeigt uns einige in abgegriffener Folie steckende Katalogblätter. Nehmen Sie die Urne für 50 €, die kommt sowieso in die Erde, sie brauchen nicht unnötig zu investieren. Als ich erkläre, wir würden selbst für die Musik sorgen, versucht er uns Musiker aus der „Philharmonie“ aufschwatzen.
Der Bestatter spricht vom Trauerredner, der uns anrufen wird und schon nach einer Viertelstunde Telefongespräch eine wunderbare, ergreifende Rede halten könne. Wir wollen wissen, was das für ein Redner ist. Oh, erstklassig, das ist ein Doktor der Philosophie. Ach Gott, ob uns das nun beruhigt…
Wir sehen uns einen Sarg an. Ich sehe die Wäsche darin. Ich stelle mir vor, dass Du in diesem billigen und kitschigen Kunstfaserbettzeug liegen sollst, das so genäht ist, dass es auseinanderfällt, wenn man daran zieht (er sagte Leinen, als ich vorhin fragte, woraus denn die Wäsche gemacht sei). Er sagt, wir könnten in Ruhe Abschied nehmen, wenn Du hier beim Bestatter aufgebahrt sein würdest. Wir bekommen ein Angebot, alles ist transparent. Gut sagen wir, wir holen uns noch ein anderes Angebot und melden uns dann. Als wir draußen sind wissen wir: Nie und nimmer werden wir Deine Beerdigung in die Hände dieses Kaspers geben, der mit dem Tod umgeht, wie ein Dorftheaterdirektor mit der Inszenierung der nächsten Kirmes. Er versteht nichts. Gar nichts!. Er versteht nicht, was wir meinen. Für ihn scheinen Tod und Begräbnis ein Stück zu sein, das in einer Pappkulisse aufgeführt wird. Vielleicht ist es ja nicht mehr als das, aber für uns ist es alles. Leben und Tod. Kein Theater, keine Kulisse. Kein Vorhang, keine Pause. Kein Applaus. Keine Schminke. Keine Probe, keine Wiederholung. Für uns ist der Tod, das EINZIGE, was bleibt. Alles. Mehr haben wir nicht mehr.
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