Lieber Simeon,

Einen Tag später, am Donnerstagvormittag, laufen Frank und ich, nach dem Besuch an Deinem Grab langsam und weinend über die Bölschestraße. Ich habe den Blick, wie meistens jetzt, nach unten gerichtet, schaue irgendwann auf, sehe – eher  unterbewusst – eine junge Frau auf mich zu kommen.
Ohne zu denken, weiß ich sofort, das ist Hatun, und ehe ich gedacht habe, ist der Name auch schon laut ausgesprochen.

Hatun! Wir beide, sie genauso wie ich, staunen, wie das möglich ist.

Ich hatte aber am Vortag kleine Fotos von Euch beiden gesehen. Deshalb konnte ich sie wiedererkennen. Doch hatte ich nicht für möglich gehalten, mir dieses Gesicht so eingeprägt zu haben. Wir haben uns umarmt, ich konnte sie kaum loslassen. Sie ist jemand, der Dich liebt, das ist so, als hätte sie noch ein Stückchen lebendigen Simeon. Nein, sie hat nichts, nicht mehr als ich. Sie hat Trauer, und Erinnerungen, Sehnsucht und Aufbegehren. Sie hat Bilder von Dir in ihrem Kopf, sie hatte Vorstellungen von Dir, Wünsche für Dich, mit Dir. Ihr bleibt nur dieser große Verlust. Sie spürt das Unglück. Das verbindet uns.